InterviewKreislaufwirtschaftGreen IT

Interview mit Dr. Adriana Neligan: Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit im Fokus

Veröffentlicht am 25. Apr. 2024
Interview mit Dr. Adriana Neligan vom IW

Interview mit Dr. Adriana Neligan vom IW

Als führender Anbieter von Green IT und überzeugter Wegbereiter für nachhaltige Geschäftsmodelle und Kreislaufwirtschaft, laden wir richtungsweisende Unternehmen und Persönlichkeiten ein, sich mit uns zum Thema Innovation und Strategien zur Nachhaltigkeit auszutauschen. Wir möchten damit der nachhaltigen Wirtschaft und klimafreundlichen Initiativen eine Stimme verleihen und nach Nachhaltigkeit strebenden Unternehmen eine Inspirationsplattform bieten.
Im Interview: Dr. Adriana Neligan arbeitet seit 2004 für das Institut der deutschen Wirtschaft in Berlin. Sie ist Senior Economist für Umwelt, Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit im Cluster Digitalisierung und Klimawandel. Dr. Neligan studierte Ökonomie an der Universität Augsburg und an der spanischen Universidad der Valladolid und promovierte am Trinity College Dublin. 
 
Thomas Gros: Wie genau verfolgen Sie und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) eine Kreislaufwirtschaft in Deutschland zu etablieren? 
Dr. Adriana Neligan: Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem umfassenden Transformationsprozess. Wir, im Themencluster Digitalisierung und Klimawandel des IW, untersuchen, wie Unternehmen in einem durch den Strukturwandel verändernden Marktumfeld agieren und wie die Rahmenbedingungen gestaltet sein müssen, damit Unternehmen auch zukünftig wettbewerbsfähig sein können. Die klimapolitischen Zielsetzungen erfordern Anpassungen in unternehmerischen Prozessen. Auf dem Weg zur Klimaneutralität sehen sowohl der europäische Green Deal als auch der aktuelle Koalitionsvertrag mit der geplanten „Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie“ eine Kreislaufwirtschaft als eine zentrale Maßnahme, bei der die gesamte Industrie mobilisiert wird. Die deutsche Wirtschaft steht mit den politischen Bestrebungen für eine Kreislaufwirtschaft nicht nur vor neuen Anforderungen, sondern es eröffnen sich auch neue Chancen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. 
 
Ich beschäftige mich in meinen Analysen von Literatur, Statistiken und Umfragen, wie der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft gelingen kann. Ziel ist, Werte so lange wie möglich zu erhalten, Ressourcen zu schonen und dabei auch die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Relevant werden hierfür zirkuläre Geschäftsmodelle, die strategisch auf die Ermöglichung, Schließung, Schaffung und Verlängerung von Kreisläufen ausgerichtet sind. Die Umsetzung dieser Strategien erfolgt durch das Ergreifen von konkreten Maßnahmen in den Unternehmen. Dabei schaue ich auch, welche Auswirkungen politische Instrumente, wie sie beispielsweise im europäischen Green Deal vorgesehen sind, auf unternehmerisches Handeln in Richtung zirkuläres Wirtschaften haben. Ein Beispiel ist die in der geplanten Ökodesign-Verordnung vorgesehene Einführung zirkulärer Produktanforderungen und digitaler Produktpässe. 
 
Thomas Gros: Was treibt Sie ganz persönlich an ein solches Ziel zu verfolgen? 
Dr. Adriana Neligan: Es kommt mir darauf an, dass den Unternehmen nicht zusätzliche Lasten aufgebürdet werden, sondern dass möglichst viele Unternehmen zirkuläre Strategien als Erfolgsfaktor für sich entdecken können. Dazu müssen die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Mir ist es in der aktuellen Diskussion um die Kreislaufwirtschaft wichtig, einen relevanten Beitrag mit meinen faktenbasierten Analysen zu liefern. Während das Thema im Jahr 2015 mit der Veröffentlichung des ersten Kreislaufwirtschaftspakets noch ein Nischenthema war, ist es inzwischen ein zentrales strategisches und politisches Thema. Ich freue mich immer wieder sehr, dass es sich gelohnt hat auf das Thema schon so früh zu setzen – meine erste Veröffentlichung dazu ist aus dem Jahr 2016. Mittlerweile habe ich ein breitgefächertes Netzwerk mit interessanten Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zum Thema Kreislaufwirtschaft. Es macht mir sehr viel Spaß, mögliche Transformationspfade zu diskutieren und überall „mitmischen“ zu können. 
 
Thomas Gros: Wie arbeiten Sie (der IW) mit anderen Verbänden, Organisationen und Unternehmen, die sich in diesem Bereich engagieren? 
Dr. Adriana Neligan: Wir, das IW, arbeiten auf verschiedenen Wegen mit Stakeholdern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zusammen. Eine unseren zentralen Aufgaben ist es, nicht nur das Thema gründlich zu beleuchten, sondern auch die Perspektive der Unternehmen in den politischen Prozess einzubringen. Dafür erstellen wir zahlreiche Studien, teilweise im Auftrag von Ministerien und Verbänden, die wir dann in den Medien breitenwirksam platzieren. Daraus ergeben sich dann Anfragen für Vorträge, Diskussionsformate und auch Veranstaltungen, die wir mit verschiedensten Kooperationspartnern organisieren. 
 
Thomas Gros: Welche Entwicklungen rund um Kreislaufwirtschaft beobachten Sie mit besonders viel Aufmerksamkeit? Welche Trends geben Ihnen Hoffnung vs. bereiten Ihnen Sorgen? 
Dr. Adriana Neligan: Die aktuell sehr ehrgeizigen und richtungsweisenden politischen Ziele sind wesentliche Weichenstellungen für eine moderne Kreislaufwirtschaft. Ich halte es jedoch auch für sehr wichtig, dass diese Ziele im Einklang mit unternehmerischen Anforderungen stehen und unternehmerische Möglichkeiten nicht eingeschränkt werden. Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft stellt eine unternehmerische Chance für innovative zirkuläre Produkte und Dienstleistungen dar, kann aber auch bestehende Geschäftsmodelle infrage stellen. Vorhandene Strukturen und Märkte müssen neu gedacht werden, damit neue Produkte und Dienstleistungen auf der einen Seite sowie neue Ertragsmodelle auf der anderen Seite entstehen können. Die für jedes Unternehmen entscheidende Frage ist, wie es auf dem Markt erfolgreich ist. Letztlich entscheidend für den Unternehmenserfolg ist die Generierung von Einnahmen. Es wird aber künftig nicht mehr nur darum gehen, möglichst viele physische Produkte zu verkaufen, sondern Unternehmen können ihr Geschäftsmodell um vermarktbare Dienstleistungen erweitern. Häufig wird damit die Frage des Eigentums neu definiert: Während in klassischen Geschäftsmodellen die Produkte mit dem Verkauf den Eigentümer wechseln, gibt es heute immer mehr nutzenorientierte Ansätze, wie das Teilen (Sharing) oder einer zeitlich begrenzten Übergabe (Mieten, Leasing). Da das Produkt im Besitz des Unternehmens bleibt und als Dienstleistung bereitgestellt wird, wird es rentabel, sicherzustellen, dass es haltbar und reparierbar ist. 
 
Allerdings werden noch flankierende Maßnahmen benötigt, damit Unternehmen, insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, die Anforderungen an die Kreislauffähigkeit beispielsweise beim Produktdesign besser verstehen. Wichtig ist, Unternehmen für die ökonomischen Chancen und Herausforderungen über Best-Practice-Beispiele zu sensibilisieren und die notwendigen Informationen zusammenzustellen. Da der Zugang zu Daten beispielsweise über Digitale Produktpässe sowie die intelligente Nutzung digital gestützter Innovationen wesentliche Voraussetzungen für den Blick auf den gesamten Produktlebenszyklus sein werden, sollte die Digitalisierung auch gleich mitgedacht werden. Allerdings erfüllen viele Unternehmen noch nicht die Voraussetzungen für eine Implementierung von Digitalen Produktpässen, da sie noch nicht ausreichend digitalisiert sind und Daten noch nicht effizient bewirtschaften. 
 
Thomas Gros: Was würden Sie uns, dem circulee Team, mitgeben für den Kampf gegen Elektroschrott?
Dr. Adriana Neligan: Wenn wir zu einer zirkulären Wirtschaft werden wollen, die Abfälle vermeidet und Ressourcen schont, dann benötigen wir kreislauforientierte Geschäftsmodelle, die die Nutzungsdauer von IT-Geräten verlängert, indem Gebrauchtgeräte wieder verkauft werden. Genau das macht circulee bereits und zeigt, dass es möglich ist. Weiter so! Wichtig ist, dass potenziellen Kunden immer wieder verdeutlicht wird, dass das Ganze nicht nur in Bezug auf die Kosten, sondern auch auf die ökologischen Wirkungen große Vorteile hat. Durch eine längere Nutzungsdauer sei es beim Erstnutzer oder auch Zweitnutzer können nicht nur Rohstoffe, sondern dadurch auch Treibhausgasemissionen deutlich gespart werden. Die Umweltbelastungen durch IT-Hardware können vor allem durch die längere Nutzung reduziert werden. Die Haupt-Umweltauswirkungen der Geräte entstehen durch die Produktion und den Energieverbrauch für die Infrastruktur, die zur Datenübertragung benötigt werden. Erst wenn die Geräte nicht mehr wiederverwendet werden können, sollen sie ins Recycling gehen, damit dann auch die Materialien in diesen Geräten, die bereits im Kreislauf sind und nicht mehr genutzt werden, wiederverwendet werden. Wir im IW haben  folgende theoretische Rechnung aufgestellt: die Urbane Mine der aktuellen Schubladenhandys kann den Materialbedarf für neue Smartphones für über 10 Jahre decken. Das ist ein beträchtliches Rohstoffpotenzial.