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Interview mit Professor Dr. Martin Stuchtey zum Stand der Kreislaufwirtschaft
Veröffentlicht am 19. Okt. 2023Als führender Anbieter von Green IT und überzeugter Wegbereiter für nachhaltige Geschäftsmodelle und Kreislaufwirtschaft, laden wir richtungsweisende Unternehmen und Persönlichkeiten ein, sich mit uns zum Thema Innovation und Strategien zur Nachhaltigkeit auszutauschen. Wir möchten damit der nachhaltigen Wirtschaft und klimafreundlichen Initiativen eine Stimme verleihen und nach Nachhaltigkeit strebenden Unternehmen eine Inspirationsplattform bieten.
Heute freuen wir uns, einen besonderen Gast willkommen zu heißen: Prof. Dr. Martin Stuchtey, eine echte Koryphäe im Bereich der Kreislaufwirtschaft. Prof. Stuchtey ist Gründer der Landbanking Group, ein Eco-Fin Tech Unternehmen, welches in der Lage ist jedem Pixel dieser Erde einen ökologischen Pass zu geben und damit zu einem Kollateral für Investitionen in die Natur zu machen. Er ist auch Gründer von SYSTEMIQ, einem der führenden Beratungs- und Investmentfirmen im Bereich der wirtschaftlichen Transformation mit besonderem Fokus auf der Kreislaufwirtschaft. Die Firma ist also einer der Pioniere in dem Feld mit heute ca. 400 Mitarbeitern und einem sehr, sehr weiten Wirkungsbereich. Außerdem ist Martin Stuchtey Professor an der Innsbruck Universität und Boardmember für einige Organisationen, Investor, Autor und Biobauer.
Thomas (CEO/Co-Founder von circulee): Lieber Martin, wir kennen uns schon etwas länger, als du noch McKinsey Senior Partner warst, da hast du dich bereits mit dem Thema Kreislaufwirtschaft beschäftigt. Damals kannten nur wenige Leute das Konzept, du bist wirklich einer der Pioniere in Europa und daher wäre meine erste Frage, deine Perspektive zu: wie sich denn eigentlich die Kreislaufwirtschaft in den letzten 10 Jahren in Europa entwickelt hat.
Prof. Dr. Martin Stuchtey: Thomas, erstmal danke für die Einladung. Vor 12 Jahren, als wir die ersten wirklich strategischen Überlegungen und Diskussionen zum Thema hatten, war Kreislaufwirtschaft, „Circular Economy“ irgendwo noch auf der Liste der ökologisch umweltpolitisch interessanten Ideen. Mehr nicht. Ich glaube, mittlerweile gehört das schon zum zentralen Inventar unserer Wirtschaftspolitik. Da hat sich einiges geändert, das ist ja auch eine lange Reise gewesen.
Ich erinnere mich noch, als wir damals versucht haben zu beschreiben, wie eine Zero Waste Economy aussehen könnte und praktisch überhaupt keine akademischen Grundlagen für solche Analysen hatten. Ich denke an ein erstes Telefonat, welches ich mit jemanden hatte, die eine sehr enge Wegbegleiterin geworden ist, Ellen MacArthur. Die war von ihrer langen Segelreise zurückgekommen und fragte sich, ob man nicht auch auf dem Land so leben muss, genauso ressourcenschonend wie auf einem Boot.
Ich erinnere mich an einen ersten vorsichtigen Besuch in Brüssel und ein Gespräch im Umweltdirektorat zu diesem Thema, wo wir mit Skepsis aufgenommen worden sind, dann ein zweites und drittes etwas konspiratives Treffen, wo wir eine ganze Nacht lang die Frage gestellt haben, mit den Brüsseler Kollegen aus der Politik, ob das nicht eigentlich eine interessante wirtschaftspolitische Idee sei. Ich erinnere mich auch daran, als wir das erste Mal unseren Aufschlag machen durften und in der Sprache der Ökonomie beschrieben, warum das für Europa ein wirklich spannender Wurf wäre, nicht nur weil man auf die Art und Weise ein ökologisches und Klimaproblem löst, nicht nur weil man sich auf die Art und Weise von 760 Milliarden Materialimporten, die unsere Währungsreserven auffressen, befreien kann, sondern insbesondere auch, weil man auf die Art und Weise eine deutlich produktivere Volkswirtschaft baut, die es leichter macht, Wohlstand zu erzeugen, weil wir uns anders bewegen, weil wir uns anders ernähren, weil wir unseren Infrastrukturbestand anders nutzen. Dann erinnere ich mich dran, wie es ein erstes europäisches Circular Economy Paket gab, das dann wieder verworfen wurde, weil es im Übergang der Kommission signalisieren wollte, dass man pro Wirtschaft, pro Wachstum, pro Unternehmertum denkt. Aber die Unternehmer selber, die wir mittlerweile auch am World Economic Forum für die Idee begeistern konnten, dann dagegen opponiert haben und gesagt haben, dass das das Gegenteil von kostspieliger Umweltpolitik ist, das ist eigentlich eine Grundlage für unsere zukünftige Wettbewerbsfähigkeit, eine völlige Umdeutung. Dann gab es den Augenblick, wo es zum Teil des European Green Deal wurde und sogar als zentraler Baustein, mehr oder weniger der Kopfstein der gesamten Green Deal Philosophie präsentiert worden ist. Dann gab es die Plastikdiskussion, dann gab es die Diskussion um Autobatterien. Insofern hat das Thema mittlerweile schon Flughöhe, nicht nur in Europa: in China nennt man das „ecological civilization“, in Japan nennt man das „Resource Efficiency“, in Kanada nennt man das „smart prosperity“, also das ist mittlerweile schon ein Begriff, der in unseren Wortschatz übergegangen ist.
Das einzige Problem ist, dass wir in dieser ganzen Zeit nicht zirkularer, nicht ressourcenproduktiver geworden sind, sondern wir verlieren Ressourcenproduktivität: wir brauchen mehr Primärmaterialeinsatz für die Erzeugung einer Einheit Wohlstand. Das heißt wir haben irgendwie die konzeptionelle und die intellektuelle Schlacht gewonnen, aber die materielle praktische Schlacht, die haben wir noch nicht gewonnen und man muss sich schon fragen, warum das so ist.
Thomas Gros: Eine ganz ordentliche Reise schon bisher und du hast ja schon angedeutet, da gibt es noch weitere Herausforderungen, die geknackt werden müssen. Wenn du jetzt etwas nach vorne blickst, sagen wir zehn Jahre nach vorne gedacht, ich weiß, es ist eine Zeit, in der es sehr schwer ist, so weit nach vorne zu denken. Aber wenn du dennoch mal versuchst, ein bisschen nach vorne zu schauen, was sind jetzt eigentlich noch die großen Dinge, die wir noch erreichen müssen? Wie bekommen wir was auf einer konzeptionellen und politischen Ebene gelandet ist, wie kriegen wir das jetzt in eine reelle Kreislaufwirtschaft übergeführt? Wie schaffen wir es eine „echte“ und funktionierende Kreislaufwirtschaft aufzubauen?
Prof. Dr. Martin Stuchtey: Auf der einen Seite müssen wir natürlich irgendwie realistisch auf die Welt schauen, was denn eigentlich passiert, wo stehen wir gerade? Im Jahr 2023, leben wir jetzt in der 1,5 Grad Welt. Wir haben, glaube ich, einen völlig anderen Kontext, als wir den noch vor einigen Jahren hatten, als diese Reise begann. Geschweige denn, als Michael Braungart und Bill McDonough oder Friedrich Schmidt-Bleck oder Ernst-Ulrich von Weizsäcker oder Walter Stahel als Vordenker in diesem Bereich erstmals ihre Gedanken aufschrieben.
Ich glaube, wir leben jetzt in einer Welt, die auf der einen Seite eine Reihe von Herausforderungen mit sich bringt:
Wir sind politisch abgelenkt, wir merken im Augenblick, dass das Argument einer ökologischen Erneuerung in der Gesellschaft nicht zu Einigung, sondern zu Polarisierung führt.
Wir merken, dass wir plötzlich in Engpass-situationen gelangen, wo die Akzeptanz neue Ressourcenquellen zu erschließen wieder größer geworden ist, da waren wir schon mal weiter.
Wir leben jetzt auch in einer Welt, in der wir ein völlig neues Zinsregime haben und deswegen die Frage, wie viel dieser Ressourcen und dieser zirkularen Produkte wollen wir uns auch auf die Bilanz legen, können wir das überhaupt finanzieren oder sind wir auf den Cashflow durch den schnellen Abverkauf von Produkten angewiesen? All das ist ein Kontext, der Zirkularität nicht leichter macht, aber gleichzeitig gibt es auch ein paar wirklich starke Gegentrends, die vielleicht auch dazu führen können, dass wir in 20 oder 30 Jahren sagen, das war der Kipppunkt, wo wir endlich auch messbar in eine ressourcenproduktive, ressourceneffiziente Volkswirtschaft und in einen neuen Modus der Wohlstandsgenerierung übergegangen sind.
Warum?
Erstens ist es wichtig zu verstehen, dass wir erstmalig in einer angebotsorientierten Ökonomie leben, so zumindest seitdem du und ich beruflich aktiv sind. Wir alle haben bisher in einer Welt gelebt, die eher über Nachfrageimpulse nachgedacht hat. Da gab es immer ein Infinit Elastisches Angebot für alles. Das war ja die Hochzeit der Globalisierung. China als Werkbank der Welt. Die Energie- und Ressourcenquellen sprudelten nur so. Und erstmals leben wir jetzt in einer Welt, in der halt unser Wohlstand angebotsrestringiert ist. Wir erleben angebotsinduzierte Inflation, wir erleben Lieferketten Zusammenbrüche, wir erleben so einen geopolitischen Wettlauf um Ressourcen und wir erleben halt auch, wie über den Klimawandel ganze Wirtschafts- und Wertschöpfungsketten mittlerweile zusammenbrechen.
Derzeit ist die Frage: wie versorgen wir uns eigentlich in der Zukunft? Wie sieht eigentlich unsere volkswirtschaftliche Materialversorgung aus? Dies wird mittlerweile einfach auch darüber motiviert, dass wir nicht mehr bereit und in der Lage sind, den wirtschaftlichen Wettbewerb für eine endlose Materialversorgung zu zahlen. Das hilft der Circular Economy.
Zweitens hilft uns natürlich, dass wir verstanden haben, dass Zirkularität der sympathischste, kostengünstigste und wahrscheinlich auch standortfreundlichste Weg ist, sich zu dekarbonisieren. Wir haben ja in den letzten Jahrzehnten viel auch zum Thema Polymere-Plastik gearbeitet. Da kann man zeigen, dass der einzige Weg darin besteht, dass auf der einen Seite kein Plastik mehr in Ökosysteme abfließt. Das ist nach wie vor nämlich bei einem Drittel des produzierten Plastiks der Fall, was wiederum sehr problematisch ist, weil wir mittlerweile 400 Millionen Tonnen von dem Material Jahr für Jahr herstellen. Und zum anderen muss man versuchen den Gesamt-Emissionsausstoß dieser Industrie zu reduzieren. Wir haben irgendwann mal ausgerechnet, dass wenn man die Polymere, die Plastikindustrie so weiter betreibt wie heute, mit den jetzt erwarteten Wachstumsraten, dann würde die Plastikindustrie alleine im 21. Jahrhundert mit einer Nettoemission von 300 Gigatonnen assoziiert sein. Das ist ungefähr genau noch so viel, wie uns als Emissionsbudget kollektiv, als Menschheit zur Verfügung steht, wenn wir bei 1,5 Grad bleiben wollen. Das ist nicht akzeptabel und deswegen muss man nach Wegen suchen, diese Industrie, die petrochemische, insbesondere Polymere-Industrie zu dekarbonisieren. Und da stellt man fest, dass zwei Drittel dieses Dekarbonisierungspotential darin liegt, dass man säkular wird, also Materialien vermeidet, wieder nutzt, und dass man sie substituiert gegenüber biologisch abbaubaren Stoffen oder aber, dass man sie mechanisch oder chemisch wiederverwendet - recycelt. Und damit hat man also einen zweiten großen Hebel gefunden, der sagt, wir können uns das überhaupt nicht mehr erlauben, lineare Wertschöpfungsketten zu betreiben.
All das muss passieren, als Kulisse, als Kontext, das ist mehr oder weniger die notwendige Voraussetzung für eine schnelle Wendung. Aber ich glaube, eine hinreichende Bedingung ist, dass wir diese von uns allen erhoffte Erdwendung zu einer zirkularen Welt als notwendig sehen. Da fehlt uns glaube ich insbesondere ein politischer Impuls. Wir haben immer noch nicht verstanden, wie man ein Gesetzes-, ein Regulierungsrahmen schafft, in dem sich eine Wirtschaft in Richtung Ressourcenproduktivität dreht. Ich glaube, das fängt erstmal damit an, dass man überhaupt Ressourcenziele braucht, die haben wir nicht. Wir haben zum Glück Klimaziele, aber wir brauchen auch Ressourcenziele.Wir brauchen zweitens einen völlig neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Produzenten und Konsumenten, der sicherstellt, dass der Produzent dauerhaft die Verantwortung über sein Produkt behält, was glaube ich juristisch und auch wirtschaftlich absolut möglich wäre, was wir im Augenblick aber nicht machen.
Wir haben mal versucht in einem Konzeptpapier zu durchdenken, was später preisgekrönt worden ist, zu beschreiben, wie eine Welt aussähe, in der es verboten ist, Dinge zu verkaufen, um am Schluss draufzukommen, dass dies möglich ist, ohne dass wir massive wirtschaftliche Einbrüche erleben würden, sondern es einfach eine Umstellung des Geschäftsmodells ist, wo wir auch feststellen, dass auf die Art und Weise die Ressourcenproduktivitäten, die wir brauchen, erreicht werden können.
Es ist ganz interessant: die einzigen Areale in unserer Volkswirtschaft, bei denen wir heute schon die Ressourcen-produktivitäten beobachten, die wir gesamtwirtschaftlich brauchen, um an unsere Klima- und Ressourcenziele dranzukommen, die sind dort, wo Produzenten heute schon beschlossen haben, ihre Sachen nicht mehr zu verkaufen, sondern zur Verfügung zu stellen, Power-by-the-Hour zum Beispiel. Also wir brauchen eine deutlich weitergedachte Produzentenhaftung bis hin zu einem Rücknahmegebot, vielleicht sogar bis hin, und das war ja diese extreme Idee, die wir damals versucht haben, zu durchdenken, dass man überhaupt nur noch Produkte allein zur Nutzung zur Verfügung stellen darf.
Und die finale Voraussetzung ist, wir müssen Wohlstand völlig anders messen. Du weißt, dass das eine Frage ist, die mich seit Jahren, Jahrzehnten umtreibt. Wir brauchen Prosperity 2.0 und in diesen neuen Wohlstandsbegriff müssen wir insbesondere Naturkapital mit einbeziehen. Natur muss auf die Bilanz. Hochkomplexe Überlegungen, ja, noch eine Menge zu tun um Verständnis bei uns als Gesellschaft zu schaffen, aber natürlich auch auf einer politischen Ebene auch eine ganze Menge zu tun. Incentives setzen, Klarheit eben.
Thomas Gros: Gibt es Bereiche oder Industriezweige, wo Du siehst, dass dort die Regulatorik oder entsprechend der Rahmen besser gesetzt wurde und entsprechend diese Ressourceneffizienz, die du beschrieben hast, schon höher ist?
Prof. Dr. Martin Stuchtey: Wenn man sich anschaut, wo wir eine positive Dynamik sehen, dann gibt es da schon Beispiele. Ob die jetzt nur durch die richtige Regulierung motiviert sind oder durch andere Druckpunkte, das können wir ja mal erkunden.
Also das Thema Plastik, was ich gerade besprochen habe, ist glaube ich schon ein Beispiel, wo im Augenblick ein Druckpunkt entstanden ist. Und der kommt einfach aus der fehlenden gesellschaftlichen Akzeptanz für weitere Verschmutzung von Ökosystemen, insbesondere dieses Thema Plastik im Ozean. Das bewegt uns, das ist ein solcher Angriff auf unsere Ästhetik, dass wir als Konsumenten, dass wir als Wähler, als Bürger, als Gesellschaften aktiv werden. Und deswegen haben wir insbesondere ausgelöst von den Konsumgutunternehmen, die natürlich um ihren Markenwert fürchten, schon eine echte Bewegung wahrgenommen in den letzten Jahren. Aber in Summe immer noch nicht genug und wir haben leider seit Beginn der Pandemie einen Rückschritt erlebt, das hat was mit einer höheren Plastikintensität unserer Lebensweise zu tun. Das hat was mit einer Cost of Living Crisis zu tun, die uns zu immer billigeren Produkten und billigeren Verpackungsformen führt und das hat so ein bisschen was mit dem strukturellen Zusammenbruch der Recyclingbranche zu tun, aber da will ich mal hoffen, dass das temporär ist. Also Plastik, da gibt es einen Druckpunkt, einfach fehlende Akzeptanz für eine weitere Vermüllung.
Dann ist das Thema Auto, Autobatterie ein interessantes Beispiel, da kommt der Druckpunkt eher aus einer Ressourcenknappheit, nämlich dass wir wissen, wie schnell die weltweite Batterieflotte wachsen wird und wir sehen die Konkurrenz um die Vormaterialien, deswegen können wir gar nicht anders als bereits heute über intelligente Kreislaufführungen nachzudenken, Batteriepässe, Produktstandards und so weiter oder auch Informationsinfrastrukturen, in dem wir sicherstellen, dass die Daten, aber auch die Baupläne von unterschiedlichen Batterien bekannt sind, also auch eine Reaktion.
Man könnte sagen, dass das Thema Food Waste auch einen Druckpunkt hat, wobei ich
nicht weiß, wie sehr sich der schon wirklich auch in geringerem Abfall Bergen übersetzt. Dort ist es nicht Materialknappheit, dort ist es nicht die Angst vor der Verschmutzung, da ist es eher ein ethischer Imperativ, das zunehmend mit einer guten Markenführung nicht vereinbar ist, viel Nahrungsmittel zu verwerfen.
Also es gibt schon einige Bereiche, wo wir eine Bewegung sehen. Aber keine von denen ist schnell genug, um in irgendeiner Weise konsistent zu sein mit den Zielen, die wir uns im Bereich Zirkularität, Naturverbrauch, Montreal oder Klimagasemission Paris gesetzt haben.
Thomas Gros: Plastik Pollution liegt Dir ganz klar am Herzen und jetzt weiß ich, dass Du auch durch verschiedene Deiner Projekte auch das Thema New Plastic Economy verfolgst. Könntest du uns ein paar Takte dazu sagen, was genau bedeutet das? Du hast auch bereits einige Punkte erwähnt mit Blick auf das Plastikproblem, aber vielleicht nochmal konkret: was sind da sozusagen die großen Hürden, über die wir angehen müssen?
Prof. Dr. Martin Stuchtey: Also Plastik, das hat mich schon immer sehr fasziniert. Das wird mich wahrscheinlich in diesem Leben auch nicht mehr loslassen. Wir hatten damals bei McKinsey einen Plan entwickelt mit der Global Ocean Commission über den Schutz des globalen Ozeans. Also wie könnte ein weltweites Ozeanabkommen aussehen und haben die ganzen Zahlen natürlich, wie man das als Berater macht, rauf und runter gerechnet und dadurch wurde auch klar, dass natürlich eine der Hauptvektoren für die Ozeane, oder für die Verschlechterung der Ozeane das Thema Plastikeindrang ist.
Als wir dann parallel dazu begonnen haben, an der globalen Circular Economy Agenda zu arbeiten, da saßen wir abends in Davos und haben gesagt, wir brauchen etwas, was sowohl das Problem wie auch die Lösung besser erklärt als unsere Schmetterlings- Schaubilder, die wir damals als Berater gemalt haben. Und die „Killer-Application“, die ist halt Plastik. Plastik berührt uns alle im physischen, aber auch im emotionalen Sinne und das war dann und bleibt natürlich ein großes Problem. Wenn man über das Thema Plastik redet, dann merkt jeder, dass es auf der einen Seite ein unmittelbares Umweltproblem ist, sichtbar, spürbar, aber man merkt auch auf einer anderen Ebene, dass Plastik ein Thema ist, das uns zeigt, wie fundamental wir uns von den Designprinzipien der Natur entfernt haben und deswegen berührt es uns, glaube ich, irgendwie doppelt. Wenn man sich die Zahlen anschaut, sieht man auch: Hygiene ist einfach ein Riesen Problem. Im Augenblick produzieren wir 400 Millionen Tonnen Plastik jedes Jahr. Die Produktion wird sich bis 2040 verdoppeln und der Bestand von Plastik im Ozean wird sich vervierfachen. Das sind Zahlen, denen kann sich keiner entziehen. Die sind so unerträglich, dass man damit auch Aufmerksamkeit gewinnen kann.
Wenn man aber schaut, wie die Lösungen aussehen, dann hört man sehr, sehr unterschiedliche Stimmen, eine ganze Kakophonie. Die einen sagen, wir müssen das Material vollständig abschaffen. Die anderen sagen, wir müssen jetzt in biologisch abbaubare Polymere gehen. Die nächsten sagen, das ist ja gar nicht so viel Material und liefert zu viel gesellschaftlichen Nutzen. Da kann man halt mit einer Deponielösung oder einer Verbrennungslösung sogar zeitweise noch leben. Wie die anderen sagen, dieses Problem lässt sich doch einfach aus der Welt recyceln. Am Schluss stimmen natürlich alle Silver-Bullet-Angebote nicht, wenn man sie übereinanderlegt.
Das haben wir vor ein paar Jahren auch gemacht. Der Bericht heißt „Breaking the Plastic Wave“, wo wir also ganz stoisch, wie wir es damals gelernt haben, in der guten alten Schule, dann eine Kostenkurve gemalt haben und wirklich versucht haben, Abbau, also ökonomisch optimierte, technologisch optimierte, aber auch in Bezug auf den Kundennutzen und auf die ökologische Wirkung optimierte Abbaukurven gemalt haben. Da stellt sich heraus, dass man in der Tat das Problem in Griff bekommen kann, auf eine Art und Weise, die wirtschaftlich und auch für den Endkunden akzeptabel ist, vielleicht sogar Vorteile bringt, wo wir aber viele, viele Dinge gänzlich anders machen müssen.
Wir müssen erstmal sagen, dass ein Drittel der Lösung darin besteht, dass wir uns „dematerialisieren“. Das heißt, wir müssen das, was heute als Plastik oder als Single-Use- Plastik angeboten wird, in Zukunft auf eine nicht-materialisierte Art und Weise anbieten. Also Elimination, Reduction, Reuse. Neue, völlig neue Liefermodelle wie dass man zum Beispiel aus Dispensern heraus die Produkte entnimmt und überhaupt auf Verpackungen verzichtet.
Ein weiteres Drittel ist dann in der Tat das Recycling. Das gelingt aber nur, wenn wir völlig neue Materialien auf den Markt bringen, Monomaterialien. Wir müssen diesen Zoo von Millionen unterschiedlichen Permutationen oder Kombinationen aus unterschiedlichen Polymeren, Laminaten, Additiven, Pigmenten, beenden und man muss von Anfang an End-of-Use mit einpreisen und sich überlegen, wie können wir möglichst hohen Nachnutzungswert schaffen, damit man überhaupt auch die Entsorgung und das Recycling finanzierbar ist.
Und das letzte Drittel, dazu muss Plastik zumindest auf eine Net-Zero Art und Weise angeboten werden. Das heißt, er muss so hergestellt werden, dass man halt über grünen Wasserstoff und elektrifizierte Steam Cracker geht, indem man, wenn er verbrannt wird, am Schluss das CO2 abscheidet und so dass man also am Schluss auf eine Plastikindustrie kommt, die erstens weitestgehend zirkular ist, also 70 Prozent zirkularer als heute.
Thomas Gros: Hochspannend und natürlich auch sehr demütigend. Wir haben ganz klar noch einige Herausforderungen vor uns und obwohl es für viele Fragen bereits Antworten gibt – Du hast einige in diesem Gespräch gegeben – tun wir uns als Gesellschaft schwer diese schnell genug umzusetzen. Da kann man nur hoffen, dass wir als „Kollektiv“ den Ernst der Lage wirklich verstehen und auch die Opportunität einer reell funktionierenden Kreislaufwirtschaft einhergeht.
Danke vielmals für dieses sehr informative und inspirierende Gespräch lieber Martin! Alles Gute weiterhin mit Deinen Anstrengungen uns für die Zukunft aufzustellen.
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